Buchstaben und Silben spielerisch entdecken:

Die ersten drei kluug-Spiele im Fokus

Für Kinder, die gerade erst in das deutsche Schriftsystem eintauchen, sind die ersten Schritte entscheidend. Besonders für Lernende mit Flucht- oder Migrationshintergrund, die möglicherweise mit einem anderen Schriftsystem aufgewachsen sind oder sprachliche Benachteiligungen mitbringen, ist eine gezielte Förderung unerlässlich. Genau hier setzen die ersten drei Spiele von kluug an. Diese Spiele auf Buchstaben- und Silbenebene sind speziell darauf ausgerichtet, grundlegende Lesefähigkeiten spielerisch zu vermitteln und den Einstieg ins Lesen zu erleichtern – sei es als Ergänzung zum Deutschunterricht in den ersten beiden Jahrgangsstufen, zur individuellen Förderung oder als zusätzliche Unterstützung in heterogenen Lerngruppen. In einem Beitrag des Sammelbandes Literarische Texte lesen – Texte literarisch lesen. Festschrift für Cornelia Rosebrock aus dem Jahr 2024 beleuchten Prof. Dr. Steffen Gailberger und Dr. des. Gerrit Helm, welche maßgeblich an der Entwicklung von kluug beteiligt waren, die wissenschaftlichen Grundlagen und die praktische Umsetzung der ersten drei Lernspiele, die nun im Detail genauer betrachtet werden.

Spiel 1: Buchstaben basteln

Wissenschaftlicher Hintergrund:

Betrachtet man unterschiedliche Buchstaben genauer, so wird schnell deutlich, dass sich bestimmte Elemente in verschiedenen Buchstaben wiederfinden lassen. So bestehen die Buchstaben b, p und d beispielsweise alle aus einer senkrechten Linie und einem Bogen, welcher je nach Buchstaben unterschiedlich ausgerichtet ist. Es wird also deutlich, dass die Buchstaben der deutschen Sprache nicht aus willkürlichen Formen bestehen, sondern sich bestimmte Segmente wiederholen. Ausgehend von dieser Erkenntnis stellten verschiedene Wissenschaftler*innen fest, dass beim Lesen zuerst eben jene Segmente eines Buchstabens identifiziert und verarbeitet werden. Dabei fanden sie ebenfalls heraus, dass das schnelle Erkennen einzelner Segmente ein zentraler Bestandteil des Buchstabenerkennens darstellt und somit essenziell für den Leseerwerb ist (vgl. Gailberger/Helm 2024: 149f).

Didaktische Umsetzung:

Als Konsequenz hieraus werden die Lernenden im ersten Spiel der Leseförderplattform schrittweise an den Aufbau von Buchstaben aus Buchstabensegmenten herangeführt. Sie erkennen zu Beginn, dass Buchstaben aus einer begrenzten Anzahl geometrischer Grundformen zusammengesetzt sind. Umgesetzt bedeutet dies, dass die Lernenden einzelne Buchstaben korrekt aus einer Anzahl von Segmenten zusammenbauen müssen. Ihnen wird anfangs ein Buchstabe präsentiert, während sich um diesen Buchstaben herum eine Vielzahl von Buchstabensegmenten befinden. Die Lernenden müssen nun per Drag-and-Drop die korrekten Buchstabensegmente auf die Buchstaben-Silhouette in der Mitte ziehen, um den Buchstaben zusammenzubauen.

Abb. 1: Spiel 1 – Buchstaben basteln

Spiel 2: Fang es!

Wissenschaftlicher Hintergrund:

Nachdem die Buchstabensegmente zu einem Buchstaben zusammengesetzt wurden, ist ein automatisiertes Erkennen des Buchstabens als ganze Einheit notwendig. In der kognitiven Psychologie wird angenommen, dass Buchstaben mental in einer Art Grundform gespeichert werden und beim Lesen die erlesenen Buchstaben mit dieser Grundform verknüpft werden. Lernende haben also eine mentale Repräsentation eines Buchstabens mit allen Informationen, etwa die lautliche Aussprache oder linguistischen Eigenschaften wie ‚Vokal‘ (in der Grundschuldidaktik auch ‚Königsbuchstaben‘ genannt). Diese Informationen wenden sie beim Lesen auf den von ihnen gelesenen Buchstaben an. Je besser dieser Prozess automatisiert ist, desto flüssiger und genauer können Schüler*innen lesen. In der Wissenschaft wird angenommen, dass Kleinbuchstaben das Grundinventar von Leser*innen sind und Großbuchstaben durch das Hinzufügen von Merkmalen am Kleinbuchstaben entstehen. Die Verknüpfung von Kleinbuchstaben und dem entsprechenden Großbuchstaben ist somit eine mentale Herausforderung für Anfangsleser*innen, denn sie müssen die teilweise recht unterschiedlichen Formen auf ein gemeinsames, mentales Modell zusammenführen. An einem konkreten Beispiel der Buchstaben g, G und C müssen die Lernenden verstehen, dass g und G auf einer gemeinsamen Grundform basieren und ein Buchstabenpaar aus Klein- und Großbuchstaben bilden, wohingegen G und C unterschiedliche mentale Repräsentanten benötigen. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, da sich die Buchstaben G und C optisch stark ähneln, während G und g trotz ihrer Zugehörigkeit zur selben Grundform nur geringe visuelle Gemeinsamkeiten aufweisen (vgl. Gailberger/Helm 2024: 151f).

Didaktische Umsetzung:

Um stabile mentale Grundformen von Buchstaben aufzubauen, ist das oben beschriebene Automatisieren von besonderer Relevanz. In Spiel 2: Fang es! wird dieses Automatisieren gefördert, indem die Lernenden Buchstaben korrekt erkennen und abgrenzen müssen. Das Spiel besteht aus einem Keksdosenmonster, welches nur ganz bestimmte Buchstaben frisst. Im oberen Feld wird der momentane Lieblingsbuchstabe des Monsters angezeigt, den die Lernenden auffangen müssen. Hierzu sollen sie im ‚Buchstabenregen‘, der vom oberen Bildschirmrand fällt, gezielt die Buchstaben erkennen, die das Dosenmonster unten fressen möchte. Die Lernenden steuern das Buchstabenmonster durch das Betätigen der Pfeiltasten am unteren Bildschirm. Bei einem korrekt gefangenen Buchstaben füllt sich die Fortschrittsanzeige, während falsche Buchstaben durch die Verfärbung des Dosenmonsters angezeigt werden.

Abb. 2: Spiel 2 – Fang es!

Spiel 3: Naschkatze

Wissenschaftlicher Hintergrund:

Wenn wir uns die Silbenstruktur der deutschen Sprache genauer anschauen, wird deutlich, dass sie im Kernwortschatz systematisch aufgebaut ist. Oftmals bestehen Wörter aus genau zwei Silben und weisen eine ähnliche Betonung auf. Diese Betonung heißt Trochäus, hierbei liegt die Hauptbetonung des Wortes auf der ersten Silbe, die zweite Silbe wird nicht betont (stark – schwach). Bei genauerer Analyse lässt sich feststellen, dass in der ersten Silbe meistens Vokale wie a, o, u oder ü den Kern der Vollsilbe bilden, wohingegen die zweite Silbe eine sogenannte Reduktionssilbe mit dem Vokal e darstellt. Wörter, welche eine trochäische Silbenstruktur aufweisen, werden auch kanonische Wörter der deutschen Sprache genannt (vgl. Gailberger/Helm 2024: 153). Diese Regel gilt für die meisten Kernwörter der deutschen Sprache wie Blume, Sonne oder müde. Für Fremdwörter, wie Büro oder Hotel, gilt diese Regel jedoch nicht, sie sind somit nicht-kanonische Wörter der deutschen Sprache.

Auch in der Schriftsprache stellen verschiedene Wissenschaftler*innen fest, dass diese Schriftsprache aus Silben aufgebaut ist. Somit sind die Silben wichtige Einheiten beim Schriftspracherwerb und beim Lesen. Verschiedene Untersuchungen konnten zeigen, dass das Unterscheiden von Vollsilbe und Reduktionssilbe eine Hilfe beim Lesen ist. Durch diese Unterscheidung können Lernende schneller auf das Wort in ihrem mentalen Lexikon zurückgreifen, da eine falsche Betonung des Wortes, welche eine Störung im Lesefluss darstellt, verhindert wird (vgl. Gailberger/Helm 2024: 153). Wenn beispielsweise das Wort Rose mit einer falschen Betonung gelesen wird, ergibt sich ein Wort, welches auch eine völlig andere Bedeutung haben könnte (RoSEE, möglicherweise ein besonderer See). Die Leser*innen stolpern im Lesefluss über dieses Wort und benötigen zusätzliche mentale Ressourcen, um den richtigen Sinn zu verstehen.

Didaktische Umsetzung:

Als Konsequenz aus dieser Feststellung fokussiert Spiel 3: Naschkatze das Erkennen der Vollsilbe in kanonischen und in späteren Leveln nicht-kanonischen Wörtern der deutschen Sprache. Hierzu muss ein Maus-Monster mit Cookies gefüttert werden. Im Spiel finden die Kinder mehrere Mauselöcher vor, über denen die Silben eines Wortes stehen. Das Ziel ist es, dass ein Cookie vor dem Mauseloch mit der Vollsilbe platziert wird. Das in Silben getrennte Wort wird vorgelesen und kann durch Anklicken erneut vorgelesen werden. Die Schüler*innen platzieren mithilfe der Tasten im Spiel den Cookie vor einem Mauseloch. Wurde der Cookie korrekt platziert, kommt das Maus-Monster aus seinem Mauseloch unter der betonten Silbe hervor und frisst den Cookie. Falls der Cookie nicht unter der Vollsilbe, sondern bspw. unter einer Reduktionssilbe platziert wurde, kommt das Maus-Monster trotzdem aus dem Mauseloch unter der betonten Vollsilbe hervor. Der Cookie vor dem falschen Mauseloch wird jedoch von einer Katze, welche in das Bild kommt, geschnappt. Das Erkennen von starken (Voll-) Silben und schwachen Silben wird somit gefördert, da das Wort richtig betont vorgelesen wird und die Lernenden direktes Feedback bekommen, ob ihre Antwort korrekt war.

Zu Beginn kommen vor allem zweisilbige Wörter mit kanonischer Silbenstruktur im Spiel vor. Mit aufsteigendem Level werden auch nicht-kanonische Wörter in das Spiel integriert. Später im Spiel erscheinen zunehmend Wörter aus drei, vier und fünf Silben (kanonisch und nicht-kanonisch).

Abb. 3: Spiel 3 – Naschkatze, richtige Antwort

Abb. 4: Spiel 3 – Naschkatze, falsche Antwort

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Literatur

Gailberger, S., Helm, G. (2024): kluug das Lesen fördern. Digitale systematische Leseförderung für die Grundschule. In: Carl, M.-O., Jörgens, M., Schulze, T. (Hrgs.): Literarische Texte lesen – Texte literarisch lesen: Festschrift für Cornelia Rosebrock. Berlin: Springer Berlin Heidelberg. S. 143-172.